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regiosignale 2022 Nachlese

„Wir haben viel Rückenwind, die Erwartungen sind hoch.“

Eine Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket, explodierende Treibstoffpreise, offene Fragen rund um die ÖPNV-Finanzierung: Beim regiosignale-Kongress 2022 gab es Gesprächsstoff ohne Ende. Dirk Bartels, Vorsitzender der Geschäftsführung von start, war in Frankfurt vor Ort – und zieht ein Resümee.

„Wir haben viel Rückenwind, die Erwartungen sind hoch.“

Anders als bisher stand bei regiosignale 2022 nicht die Inspiration, sondern das Realisieren im Fokus. Was hat Sie am meisten interessiert?

Dirk Bartels: Mich hat die Veranstaltung insgesamt interessiert, weil das Thema „Realisieren“ – also ins Umsetzen kommen – so klasse ist. Ich habe den Eindruck, dass wir im Moment in einer Situation sind, die für die Branche neu ist. Wir haben viel Rückenwind, die Unterstützung ist groß, die Erwartungen sind hoch. Plötzlich sind wir Teil einer Lösung, mit der Deutschland und Europa  dem Klimawandel begegnen – der Mobilitätswende. Gleichzeitig hat die Branche auch erkannt, dass das nur im Schulterschluss gelingen kann. Gewachsen ist diese Einsicht im Wesentlichen durch die gemeinsamen Erfahrungen mit dem Rettungsschirm und dem 9-Euro-Ticket. Daran müssen wir jetzt anknüpfen und weitermachen.

Im Fokus steht das Megaprojekt Mobilitätswende. Besteht die Gefahr, dass drängende betriebliche Themen, wie Inflation oder Kostenexplosion, dadurch aus dem Blick geraten?

Dirk Bartels: Die wesentliche Herausforderung ist, dass sich Krisen derzeit überlappen. Eine Normalität, wie wir sie über Jahrzehnte kannten, gibt es derzeit nicht. Wir sind von der Corona Pandemie überrascht worden, kaum schien sie halbwegs im Griff, ging der Angriffskrieg gegen die Ukraine los. Auf all diese Dinge waren wir überhaupt nicht vorbereitet, weil sie sich jenseits unserer Vorstellungswelt befanden. Jetzt kommt alles geballt auf einmal, und das bringt die gesamte Branche natürlich in schweres Fahrwasser, weil der Erwartungsdruck so hoch ist: Bis 2030 sollen sich die Fahrgastzahlen verdoppeln, gleichzeitig explodieren die Materialkosten, reißen die Lieferketten und brechen über Jahre gewachsene Lieferantenbeziehungen auseinander. Aktuell reagieren wir nur und laufen der Situation hinterher, obwohl wir eigentlich vor der Welle sein müssten. Das Motto der Veranstaltung bringt es auf den Punkt: Wir müssen ins Realisieren kommen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich Bund und Länder einig werden, wie sie die ehrgeizigen Ziele finanzieren wollen.

Lassen wir die Politik mal außen vor und schauen stattdessen auf die Branche selbst: Ist sie überhaupt in der Lage, die anstehenden Entscheidungen in der nötigen Geschwindigkeit zu treffen und umzusetzen?

Dirk Bartels: Eindeutig ja. Dass wir zusammenrücken können, haben wir schon im Umgang mit Corona und bei der Realisierung des 9-Euro-Tickets gezeigt. Wie hieß es auf einem Panel so treffend: Hätten wir als Branche diesen Auftrag vor ein paar Jahren bekommen, hätten wir drei Jahre überlegt, wie es funktionieren könnte, um dann die Probleme aufzuzählen, die damit verbunden sind. Tatsächlich haben wir es aber in wenigen Wochen geschafft, das Ticket auf den Markt zu bringen. Diese Qualität werden wir auch brauchen, um die Verkehrswende als Branche auszugestalten.

Aktuell ist das vom VDV vorgeschlagenen 49-Euro-Ticket in aller Munde. Ist die Branche damit erstmals vor die Welle gekommen?

Dirk Bartels: Sie hat auf jeden Fall bewiesen, dass sie das Tempo aufrecht erhalten kann und eine Nachfolgelösung präsentiert, der die Verkehrsminister einstimmig gefolgt sind. Jetzt geht es in die Umsetzung. Natürlich wird dabei noch die ein oder andere Hürde im Detail zu nehmen sein. Aber wir haben in den letzten zwei Jahren gelernt, dass man schwierige Details auch mal vor die Klammer ziehen muss, um schneller in die Realisierung zu kommen. Alles andere lässt sich anschließend im Konsens klären. Der dafür nötige Zusammenhalt ist nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre zweifellos vorhanden und stärker als jemals zuvor.